
Zweiter August 2021
Fröhliche Kinderstimmen schleichen sich langsam in mein Bewusstsein. Die Luft duftet nach Frühling. Durch meine halb geöffneten Augen
kann ich aus dem Fenster schauen. Zwei Jungs und ein paar Mädchen toben
begeistert mit Skates und Ball über den warmen Asphalt. Ich muss kurz
eingenickt sein.
Irgendein mulmiges Gefühl versteckt sich noch in mir, es wagt sich langsam in mein Bewusstsein. Ein Traum? Dieses pumpende Geräusch der Beatmungsmaschinen hat sich in meine Gedanken eingebrannt. „Flatten the curve“, „Stay at home“ – Rufe überall. Keine Menschenseele in den kleinen Vororten, ein leerer Platz, der nur von ein paar Tauben bewohnt zu sein scheint und ein lebloser Time Square. Beim Einkaufen blicke ich in die Augen einer gebrechlichen Dame die verzweifelt versucht jedem aus dem Weg zu gehen. Sie ist vergeblich auf der Suche nach Mehl und Hefe. In den Regalen: gähnende Leere. Hoffnungsvolle und dankbare Menschen jeden Alters, die gemeinsam an Fenstern in den wunderschönen Gassen Italiens stehen und aus tiefster Seele singen.
Noch heute erinnere ich mich an meine eigene tiefsitzende Verzweiflung. Jeden Tag wachsende Event-Absagen, weinende Menschen am Telefon, hoffnungslose Freunde in Kurzarbeit, eine beängstigende Verantwortung für meine Mitarbeiter und eine bedrohliche Angst alles zu verlieren.
Nur die Erinnerung an die Worte meines verstorbenen Vaters haben den Teufelskreis durchbrechen können.
„Lasse Dich niemals von Angst leiten und mache immer das Beste aus jeder Situation“.
Karl-Heinz Schreiber
Die Möglichkeiten allesamt verborgen hinter einer dichten
dunklen Wolke der Angst. Die Menschheit war eine Zeit lang wie gelähmt. Doch
dann brach etwas die schweren Wolken entzwei. Ein Lichtblick: Wir begannen
damit unsere Kinder von den Telefonen und Videospielen fern zu halten. Wir
verbrachten plötzlich mehr Zeit mit ihnen, kochten gemeinsam, säten Kräuter im
Garten, zeigten ihnen wie man den Ölstand im Auto prüft, wie man Wäsche wäscht
und einen Knopf annäht und wie wichtig es ist sich um die Großeltern zu
kümmern, auch wenn man sich mal nicht sehen kann. Wir bildeten uns weiter,
prüften unser Leben, unser Business, entwickelten neue Ideen, bessere Ideen,
klügere Ideen, nachhaltigere Ideen und setzten sie in die Tat um. Wir haben
gelernt wieder zu lernen, mutig zu sein und uns gegenseitig zu helfen.
Ich, Daya, schaue noch immer den Kindern durch das Fenster zu. Durch die Scheibe höre ich ihr Lachen, heute habe ich einen Home-Office-Tag. Nicht weil ich muss, sondern weil ich kann. Morgen freue ich mich meine Freunde und Kollegen ohne Abstand sehen zu können, ich freue mich auf eine Mittagspause im Café um die Ecke. Ich bin dankbar für jeden Tag und für die Kraft, die mir die Worte meines Vaters gaben niemals aufzugeben und gerade in Zeiten der Krise Neues zu erschaffen. #dubistnichtallein

